Eine Musiktheater-schlacht von glanz&krawall
Eine Frau, eine Oper: CARMEN.
1870 uraufgeführt, ist das Werk des Komponisten Bizet eigentlich eine Oper mit Sprengkraft, mit emanzipatorischem, fast anarchischem Gehalt.
Anarchie und Emanzipation wurden nach Bizets Ableben jedoch sofort möglichst umfassend getilgt: Texte wurden verharmlost oder in Form von Rezitativen verkitscht, um alle schroffen Brüche, die die Partitur aufwies, möglichst großflächig zuzukleistern. Jetzt ist Carmen die meistgespielte Repertoire-Oper der Welt. Der Blick der männlichen Übersetzer und Regisseure der letzten 150 Jahre hat aus der Protagonistin eine zutiefst widersprüchliche Frau gemacht, die ihre Freiheit besingt und sich gleichzeitig betont „lasziv“ dem männlichen Figurenpersonal an den Hals wirft.
Nicht nur als Frau sitzt man ratlos vor der sich immer wiederholenden Carmen-Symbolik. Rotes Kleid, gespreizte Beine, merkwürdige Tanz-Bewegungen. Sieht so die starke Frau in der Oper aus? Ist die Oper also eigentlich nur noch zur Abschreckung gut?
Die Musiktheater-Schlacht von glanz&krawall ist der Kampf einer einzigen Schauspielerin mit und gegen die Oper Carmen – Flora Pulina allein gegen das Publikum und dessen Erwartungen. Unterstützt wird sie von einem Kinderinstrumenten-Orchester aus Blockflöte, Ukulele, Kinderklavier, Kinderschlagzeug und Glockenspiel. Das klingt nicht bombastisch oder verführerisch, sondern eigen, mickrig, scheppernd und immer ein bisschen schief. Doch gerade durch diesen merkwürdigen Sound erklingt die Musik von Bizet plötzlich so, als sei sie befreit worden aus ihrem klassischen Korsett.
Mit dieser Musik und nichts als ihrem eigenen Körper wirft sich die Schauspielerin nun also hinein in eine Oper, für deren Aufführung normalerweise ein Dutzend Solisten, Chor, Ballett und Orchester vorgesehen sind. Aus der schieren Unmöglichkeit des Unterfangens entsteht seine größte Freiheit: Eine Schauspielerin muss die Töne nicht treffen. Sie muss sich nicht sklavisch an die Form der Musik halten, denn es gibt keinen Dirigenten. Sie muss kein rotes Kleid tragen, sich keine Rose ins Haar stecken, denn es gibt niemanden, von dem sie sich damit absetzen müsste.
Stattdessen kann sie nun versuchen, zusammen mit dem Publikum in den Kern der Oper vorzudringen, das System CARMEN zu unterwandern, auszubrechen, es umzudeuten. Alles kreist um die Forderung: „Lasst uns Carmen ernst nehmen. Lasst uns fragen: Wieso wurde Carmen umgebracht? Wegen der Liebe?!“
Und auf der Spur nach der verlorenen Carmen stellen sich plötzlich ganz andere Fragen: Wie kann man selbstbestimmt leben, sich frei machen von den Ketten der Ordnung? Wie kann man ausbrechen aus einem System – dem Staat, dem realen Theaterraum, der Oper? Und ist auch das Scheitern eine Emanzipation?
SCHAUSPIEL Flora Pulina
REGIE Marielle Sterra
MUSIKALISCHE LEITUNG Sua Baek
BÜHNE Ran Chai Bar-zvi
KOSTÜME Hannah Münninghoff
CO-REGIE Dennis Depta
REGIE-ASSISTENZ Dirk Girschik
KINDERINSTRUMENTEN-ORCHESTER Sua Baek, Dennis Depta, Robert Grädener, Marielle Sterra, Anne Wolf
FOTOS Ran Chai Bar-zvi, Hannah Münninghoff, Ingo Tesch
KAMERA Marcel Riedel
Eine Produktion von glanz&krawall in Kooperation mit dem Theaterdiscounter Berlin.
Mit freundlicher Unterstützung der Frauenbeauftragten der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin.
Gastspiel beim FURORE-Festival an der Akademie für Darstellende Kunst Ludwigsburg (Akademiehof 1, 71638 Ludwigsburg):
Donnerstag, 21.07.2016, 20.30 Uhr
Vorstellungen im Theaterdiscounter Berlin (Klosterstraße 44, 10179 Berlin):
Donnerstag, 25.02.2016, 20 Uhr – ausverkauft; ggf. Restkarten an der Abendkasse
Freitag, 26.02.2016, 20 Uhr
Samstag, 27.02.2016, 20 Uhr
Sonntag, 28.02.2016, 20 Uhr